Kalb sammelt viele Blues-Punkte

Umjubelter Auftritt beim Kulturkreis Ebermannstadt — Klassiker umgestaltet.

Vor 30 Jahren war Wolfgang Kalb zuletzt in Ebermannstadt zu hören. Nun hatte der Blues-Musiker aus Hirschaid in der Kulturscheune im Wiesent- Garten beim Kulturkreis Ebermannstadt einen umjubelten Auftritt. Dabei sammelt der gebürtige Forchheimer, der nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit dieser Musikrichtung und -stimmung zu den ersten Adressen Deutschlands gehört, beim Publikum Blues-Punkte.
Der Blues ist ja nichts für labile Gemüter. Ständig klagt und jammert es. Entweder ist einem die Frau weggelaufen, oder der Whiskey ausgegangen oder das Wetter ist schlecht, oder die Arbeit zu schwer, oder das Geld fehlt. Selbst Kleinigkeiten lassen sofort melancholisch-wehmütige Balladen aufbrechen, lassen Wolfgang Kalb zur Bluesharp und zu einer seiner drei Gitarren greifen. Wer schon depressiv ist, dem gibt der Blues den Rest.
Dass in der stilechten Kulturscheune, die wunderbar zur amerikanischen Folk(s)musik passt, dennoch niemand vom Tisch springt, liegt an der präzisen, vielseitigen und nicht zuletzt ungemein mitreißenden Interpretation. Wolfgang Kalb greift ganz tief zurück in die Blues-Geschichte und nimmt sich die Legenden der 20er und 30er Jahre vor. Aber einfaches Nachspielen ist nicht sein Ding. „Das wäre ja auch langweilig und schon einmal dagewesen." Vielmehr fügt er, beinahe unbemerkt, eigene Textpassagen ein, wandelt behutsam die musikalische Atmosphäre oder Struktur und schafft so etwas ganz Neues, das doch altvertraut klingt. Auf der Reise in den tiefen Süden der Vereinigten Staaten und in noch tiefere Gegenden des Herzens begegnen den Zuhörern zwei Antipoden: Auf der einen Seite der wirklich blinde „Blind Boy" Fuller mit seinem temporeichen Ragtime „Keep on truckin'".

Ländliche Klänge
Dieser ländliche Piedmont-Blues mit seinen etwas fröhlicheren Inhalten ist vom ebenfalls erblindeten „Reverend" Gary Davis inspiriert, der bei Wolfgang Kalb mit dem „Cocaine Blues" zu hören ist. Ein Stück übrigens, das Hannes Wader in den 70er Jahren entbluest hat. „Danach hat es Gary Davis nie mehr gesungen." Auf der anderen Seite Robert L. Johnson, der als Vertreter des Delta-Blues, natürlich des Mississippi mit dem Yazoo, nicht nur auf Grund seines frühen Todes mit 27 Jahren — er wurde aus Eifersucht mit Arsen vergiftet — zur Legende wurde. Sein „Kindhearted Woman" ist nicht nur von Eric Clapton aufgegriffen worden. Ergriffen sind dabei nicht nur die Zuhörer.
Und natürlich „Mississippi" John Hurt, der Wolfgang Kalb seit seinem siebten Lebensjahr begleitet. Damals (1964) kam der kleine Forchheimer Junge erstmals mit dem Blues in Berührung und seither nicht mehr davon los. Bei der Gangster-Ballade „Stack-A-Lee", die später unter anderem von Bob Dylan, Amy Winehouse oder Neil Diamond eingespielt wurde, darf dann auch die Steel-Guitar ihre Lautstärke, ihr Scheppern und ihren jaulenden Unterton zur Geltung bringen. „Bei den dicken Saiten muss man schon richtig hineingreifen." Gebrochene Versprechen, zerbrochene Träume und erbrochene Flaschen bilden das Zentrum. Afrikanische Rhythmen, europäische Melodien und die arabischen Halbtonskalen vermischen sich nicht nur bei John Lee Hooker und dessen „Driftin' Blues", von dem sich Wolfgang Kalb treiben lässt.
Hin zu wunderbarer Musik, die unnachahmlich daherkommt, obwohl sie nachahmt. Wolfgang Kalb weiß seine raue Stimme, sein intensives Feeling und seine glänzende Spieltechnik gekonnt den Klassikern angedeihen zu lassen — ob nun das Fingerpicking, das ohne Plektrum auskommt, oder das Bottleneck.

Die Hand an der Dobro
Auch wenn in früheren Zeiten beim Bottleneck tatsächlich Flaschenhälse verwendet wurden, gelingt das Gleiten über die Saiten (Slide-Technik) heute mit einem Metallröhrchen, das Wolfgang Kalb am kleinen Finger der Griffhand trägt. Auf seiner Dobro-Gitarre, einer Resonatorgitarre, die wie ein mechanischer Lautsprecher funktioniert, weint Wolfgang Kalb mit Hudson Whittaker („Tampa Red") im „Seminole Blues" gegen den Abschiedsschmerz an. Und nimmt neben „Tampa Red" auch Mc Kinley Morganfield („Muddy Waters") aus Chicago ins Programm.
Das ist ein Blues-Musiker, der Anfang der 40er Jahre auf dem Acker beim Singen entdeckt, vom Traktor gezogen wurde und danach eine Weltkarriere startete. Wolfgang Kalb hat all diese Geschichten, Schicksale und ihre musikalische Verarbeitung mit großer Leidenschaft intoniert.

UDO GÜLDNER (Nordbayerische Nachrichten, 30.09.2013)