Portrait: von Rudolf Görtler, Fränkischer Tag, Bamberg

Den Blues hat man nicht nur in New Orleans oder Chicago, sondern auch in Hirschaid. Und wie! Das beweist der Bluesman Wolfgang Kalb.

Am Anfang war der rote Hahn

Für den Laien exotisch mutet das Instrument an. Es sieht schon aus wie eine ordinäre Gitarre, der Korpus ist aber ganz aus Metall. Wenn Wolfgang Kalb das Ding spielt, nein mit der rechten Hand zupft, „pickt", und mit dem auf dem kleinen Finger gesteckten „Bottleneck" über die Saiten gleitet, scheppert und jault es viel lauter als ein akustisches Instrument. Es ist eine Resonatorgitarre, nach den Herstellern kurz „Dobro" genannt.

Ja, der 1957 in Forchheim geborene Hauptschullehrer ist ein Bluesman. Es ist einfach ein bisschen ruhig geworden um diese Musik der amerikanischen Schwarzen aus dem Süden der USA. Dabei hat sich ein Großteil der angloamerikanischen populären Musik aus diesem Idiom entwickelt. Das wiederum westafrikanische Wurzeln und mit den Sklaven den Ozean überquerte. „The Blues had a Baby, and they named it Rock 'n' Roll, sang Muddy Waters 1977.

Musikalisch gings's in der deutschen Provinz der frühen 60er Jahre eher, nun ja, eintönig zu. Schlager- und Volksmusik gab's, die Beatles für die Teenies, der Jazz war marginal und elitär. Umso erstaunlicher ist die frühe Initiation des späteren Sängers. Da hörte der Siebenjährige eine Platte des älteren Bruders: "Little Red Rooster" von den Rolling Stones, der kleine rote Hahn. Vom anzüglichen Hintersinn dieses Songs wird Kalb ebenso wenig eine Ahnung gehabt haben wie vom Komponisten Willie Dixon, einem der größten Blues aus der Welthauptstadt dieser Musikrichtung, Chicago.

Jedenfalls war der Bub angefixt und übte wenig später auf einer Höfner-Wandergitarre, deren Hals sich wegen der irrsinnigerweise aufgezogenen Stahlsaiten bog. Nie wurde Kalb wie so viele andere seiner Generation vom Rock-Virus infiziert, hörte allenfalls Blues-Rockbands wie Canned Heat oder die Paul Butterfield Blues Band. Sein Herz gehörte und gehört einzig dem Blues – Artverwandtes wie Ragtime und Gospels eingeschlossen.

Und da wiederum dem Country Blues, der akustischen Variante, einst von Kneipe ("Honky Tonk") zu Kneipe ziehenden Sängern mit Gitarre und Harmonika gespielt. Legenden gab's da von den 1920er bis 40er Jahren wie Robert Johnson oder Blind Boy Fuller. Der eher wortkarge Kalb kann bis heute nicht so recht definieren, was denn nun das Faszinosum an dieser doch recht einfachen zwölftaktigen Musik sei. Es ist die Kunst der ganz einfachen, kleinen Leute, der Ausgestoßenen auch; man könne sich ausdrücken, nicht zuletzt besitze ein Blues-Song kathartische Funktion: Man schreit sein Leid heraus und fühlt sich besser. Wobei Kalb als Kenner weiß, dass es auch viele fröhliche, alberne, politische… Blues gibt.

Der junge Forchheimer jedenfalls hatte die Musik seines Lebens gefunden. Und sah im Bayrischen Fernsehen eine Lehrsendung für Gitarre, hörte "Blues in the Night" von RIAS Berlin, besuchte Konzerte im Nürnberger Amerikahaus von Big Joe Williams, Juke Boy Bonner, Katie Webster etc. und in der Stadthalle Erlangen von John Lee Hooker und erwarb schließlich in einem kleinen Gitarrenladen der Noris die erste Dobro, zu einem damals astronomischen Preis. Er spielt sie heute noch.

Den ungefähr Gleichaltrigen zieht Kalb in wahre Erinnerungsstrudel, wenn er anfängt, von seiner ersten Auftrittsphase zu erzählen. Denn so weit hatte es der Blues aus Forchheim in der zweiten Hälfte der Siebziger durch Hören, durch Nachspielen – Noten kann er bis heute noch kaum lesen – gebracht. Der Erlanger Jazzclub Pupille fällt da als Name, der Fischerhof in Gaustadt, wo er mit dem begnadeten Schreihals Louisiana Red musizierte, später mit Martin Philippi aus Nürnberg, die Besetzung des alten E-Werks in Bamberg mit Blues bei Kerzenschein.

Aber ein fränkischer Blues ist – Gott sei Dank –kein Mensch aus dem Mississippi-Delta, der um sein Leben spielen muss. Irgendwann begann auch für Kalb der Ernst des Lebens mit Hausbau in Hirschaid, berufliche Etablierung und: Familie. Eine lange Konzertpause war die Konsequenz, die wenigsten mit einem nahezu fanatischen Sammeleifer kompensiert wurde. Unglaubliche 5000 Vinyl-LPs, fast nur Blues, im Keller stehen. Irgendwann veröffentlichte Country-Blues-Aufnahmen besitzt er praktisch alle. Son House liebt er und John Lee Hooker, Tampa Red, J.B.Lenoir und wie sie alle heißen. Alles besorgt über persönliche Kontakte zu Johnny Parth in Wien oder direkt in den USA.

Die Kinder wuchsen und auch das Bedürfnis, wieder mit dem Bottleneck (einem Metallröhrchen, das die Gitarre wimmern und heulen lässt) die Saiten entlang zu fahren. Allmählich tastete sich Kalb wieder in die Szene, spielt im nordbayrischen Raum und darüber hinaus: in Österreich, der Schweiz, in Jazzclubs, kurioserweise in profanisierten evangelischen Kirchen. Freundschaften sind entstanden über die Auftritte und eine CD aufgenommen: "Got Them Old Walkin' Blues" heißt sie und ist direkt über den Musiker zu erhalten. In Bamberg von Alex Dürr aufgenommen, ent hält sie 15 Klassiker, gespielt auf diversen Gitarren und der Bluesharp. Gesungen von Wolfgang Kalb, dem Lehrer mit dem Blues.

 

Portrait: von Udo Güldner, Nordbayerische Nachrichten, Nürnberg

Seit 58 Jahren den Blues im Blut

Wolfgang Kalb, gebürtiger Forchheimer hörte die Musik der unterdrückten Schwarzen als Siebenjähriger zum ersten Mal.

Von Udo Güldner

 

Forchheim – Der Blues ist die Basis für Swing, Jazz uns Rock'n'Roll. Ohne die Klänge der versklavten und unterdrückten Afro-Amerikaner wäre die heutige Musik nicht denkbar. Davon ist Wolfgang Kalb (65) überzeugt. Wir haben den Forchheimer Blues-Musiker besucht.

Kalb ist sieben Jahre alt, als er zum ersten Mal einen Blues hört. "Das Gewimmere hat mich fasziniert." Bis dahin liefen in der Wohnung in einem kleinen Einfamilienhaus in Forchheim-West im Radio nur alte Schlage und Blasmusik, die sein kriegsversehrter Vater Fritz so mochte.

Fischer von Capri

Rudi Schuricke und seine Caprifischer etwa oder die Oberkrainer. Seit neuestem hat aber hat der zehn Jahre ältere Bruder Gerhard einen Plattenspieler und immerhin eine Scheibe: "Little Red Rooster". Der Gesang dieses kleinen roten Hahnes und die wimmernde Gitarre Slide-Gitarre wird Kalb nicht mehr loslassen. Heimlich hört er die Platte immer und immer wieder. Nun hat Kalb den Blues.

Vorerst aber spielt die Musik nur die zweite Geige. Kalbs Leidenschaft gehört dem Fußball, dem er beim SV Buckenhofen nachläuft. Als Kalb aufs Gymnasium geht, damals gibt es in Forchheim nur eines, beschließt seine Mutter, er solle ein Instrument lernen. Ihre Wahl fällt auf eine Höfner-Wandergitarre. „Die war zweite Wahl. Selbst die Schüler-Gitarren heute sind besser. “Aber das Geld ist knapp. Dennoch bekommt Kalb Unterricht beim legendären Kurt Leonhardt in der Birkenfelderstraße.

„Aber die klassische Gitarre war nicht meins.“ Zwei Jahre lang fasst Kalb kein Instrument mehr an. Er hört aber weiterhin den Country Blues eines Mississippi John Hurt, Blind Blake oder Robert Johnson und sammelt Schallplatten. „Das Geld habe ich mir mit dem Austragen von Zeitungen verdient.“ Heute sind es weit über 5000 der schwarzen Scheiben.

 

 Der entscheidende Moment kommt, als der britische Gitarrist John Pearse auf dem TV-Bildschirm erscheint. Seine Sendung „Akkord und Rhythmus“ läuft einmal in der Woche im Bayerischen Fernsehen und zieht Kalb in ihren Bann. „Das war ähnlich dem, was es heute auf Youtube so gibt.“ Der Nachwuchsmusiker aus der fränkischen Kleinstadt leckt Blut. Er will Blues und Folk nicht nur hören, er will ihn selbst spielen. Nach und nach bringt er sich alles selbst bei. Dass er damals keine Noten richtig lesen kann, ficht ihn nicht an. Er schaut sich bei den Legenden ab, was er können muss.

 

„Ich ließ mir Langspielplatten aus Schweden, England und den USA schicken.“ Und er besucht Konzerte im Amerika-Haus in Nürnberg, lässt sich von John Lee Hooker oder Muddy Waters inspirieren. Kalb aber ahmt nicht nach. Er sucht seine eigene Handschrift. Als 15-jähriger Jugendlicher hat Kalb seine ersten Blues-Auftritte im Jugendzentrum und am Rappen-Keller, aber auch im Jazzclub „Pupille“ in Erlangen. „Damals gab es neben mir als Bluesmusiker noch Berti Gaksch und Gernot Olbert.“ Meist sitzt Kalb alleine mit seiner Western- oder Dobro-Gitarre auf der Bühne. Die Blech-Gitarre hat er sich mit einem Ferienjob in der Folienfabrik zusammengespart.

 

Manchmal aber hat er eine Band neben sich: Helmut Kratz am Saxophon, Jürgen Hiltl am Kontrabass und Stefan Galamb am Schlagzeug versetzen die Zuhörer Anfang der 80er Jahre am Gottla-Keller in Ekstase. Es ist die Zeit kultureller Blüte. Sinnbildlich dafür steht die vom Ehepaar Gerd und Gerda Zeitler ins Leben gerufene Kultur-Kerwa rund um die Martinskirche. Aus ihr wird später das Altstadtfest hervorgehen. Dann allerdings mit deutlich weniger Kultur und mehr Kommerz.

 

Nachdem Kalb Mitte der 80er Jahre sein Studium an der Universität Bamberg hinter sich gebracht hat und erste Schritte ins Berufsleben unternimmt, ist er seltener auf Bühnen zu sehen. Als Volks- und Hauptschullehrer in Gochsheim, Nürnberg, Gerolzhofen, Höchstadt/Aisch und zuletzt Ebermannstadt gehört all seine Aufmerksamkeit den Schülern. Zudem gründet er eine Familie und baut mit den zarten Musikerhänden ein Haus.

 

Nur die Kinder- und Jugend-Gottesdienste an seinem neuen Wohnort Hirschaid lässt er sich nicht entgehen. Dort hat Pfarrer August Popp das

Sagen, den der Ministrant Kalb schon als Kaplan in Forchheim kennen und schätzen gelernt hat.

Gemeinsam huldigt man dem Neuen Geistlichen Lied und dem Gospel, der dem Blues doch sehr nahesteht. Einen Neuanfang vor genau 20 Jahren ermöglicht Hans Mohnkorn mit Kalbs Auftritt auf dem Pfarrfest Eggolsheim. „Da habe ich gemerkt, dass ich es noch kann.“

 

Seither ist Kalb in ganz Deutschland und vor allem in der Schweiz unterwegs. Auf großen Blues-Festivals in Locarno, Basel oder Rapperswil bei Zürich oder auch im heimischen Wendelstein bei Nürnberg lauschen ihm tausende Fans. „Ich stand mit dem berühmten Jimmy 'Duck‘ Holmes auf der Bühne“ oder auch mit Champion Jack Dupree und Louisiana Red. Nur in seiner fränkischen Heimatregion macht er sich etwas rar. Aber das soll sich ändern.